IRINA LEHER1 | CHRISTOPHER FLEISCHMANN1 | BERNHARD BRUNNER2 | GOTTFRIED BETZ3 | HALIL BILGIN4 | YILMAZ SAGLAM4 | DETLEV UHL2 | TETIANA SHINKAR2 | STEFAN SESSELMANN1
1 Institut für Medizintechnik, Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden
2 Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC
3 Strick Zella GmbH & Co.KG
4 ABECO Industrie Computer GmbH
1 Motivation
In Deutschland leben rund 8 Millionen Typ-2-Diabetiker [1]. Die Zahl der unerkannten Diabetes-Fälle wird auf mindestens 2 Millionen geschätzt [1]. Prognosen zufolge wird die Zahl der Typ-2-Diabetiker bis 2040 auf etwa 11,5 Millionen ansteigen [1].
Zu den Folge- und Begleiterkrankungen des Diabetes zählt unter anderem das diabetische Fußsyndrom. In der Regel tragen mehrere Risikofaktoren, wie Mikrotraumata, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit und / oder eine diabetische periphere Polyneuropathie zur Entwicklung des diabetischen Fußsyndroms bei [2]. Je nach Schweregrad treten Fußdeformitäten, Ulzera oder Nekrosen von Teilen oder gar des gesamten Fußes auf. Amputationen sind dann unvermeidlich. Der Charcot-Fuß gilt als eine besonders schwere Variante des diabetischen Fußsyndroms mit zahlreichen kumulierten akuten und chronischen Veränderungen des Fußes insgesamt [3, 4].
Multidisziplinäre Therapie- und Präventionsmaßnahmen sollen das Risiko von Amputationen und die Entstehung von Fußulzera im Zusammenhang mit dem diabetischen Fußsyndrom reduzieren. Risiken wie eine veränderte Biomechanik, erhöhte Druckwerte im Fußbereich und eine unzureichende Blutzuckereinstellung müssen frühzeitig erkannt und behandelt werden [5]. Auf diese Weise können langwierige Heilungsprozesse von Fußgeschwüren von bis zu ca. 14 Wochen und weitere Therapiekosten vermieden werden [6].
Die plantaren Fußdruckwerte können anhand von In-Schuh-Messsystemen und Druckmessplatten bestimmt werden. Die Pedobarographie mit einer Druckmessplatte zeichnet sich durch eine gute Ortsauflösung aus [7]. Druckmessplatten sind jedoch kostenintensiv und wenig flexibel in der Einsetzbarkeit. In-Schuh-Messsysteme können in der natürlichen Umgebung des Patienten eingesetzt werden und bieten eine größere Datenbasis für die Bewertung der Druckbelastung. Die medizinische Überwachung der Fußsohlendruckwerte erfolgt in der Regel nur intermittierend mit größeren Abständen im Rahmenvon Vorsorgeuntersuchungen.
Um weitere multidisziplinäre Präventionsmaßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom zu ermöglichen, wurden in jüngerer Vergangenheit intelligente Druckmesssocken entwickelt [8]. Diese sind für einen kontinuierlichen Einsatz im Alltag konzipiert, um Druckspitzen bei Aktivitäten des täglichen Lebens zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Die Socken wurden mit punktuellen Sensoren rund um den Fuß ausgestattet, die keine flächendeckende Druckmessung zulassen. Aufgrund hoher zu erwartender Kosten für eine Serienproduktion wurde die Weiterentwicklung dieser Druckmesssocken eingestellt.
Ein aktuelles Forschungsprojekt griff diese Herausforderungen wieder auf. Standardisierte Fertigungsprozessschritte sollen die Produktionskosten senken. Darüber hinaus wird eine flächige Druckmessung über den gesamten Fußbereich angestrebt, um z. B. bei der Sonderform des diabetischen Fußsyndroms, dem Charcot-Fuß, auch individuelle Risikobereiche für Fußulzera außerhalb der Fußsohle zu identifizieren. Außerdem werden andere Druckmessprinzipien (beispielsweise resistive Systeme)eingesetzt, um deren Potenzial im Einsatz bei intelligenten Textilien eingehender zu erforschen. Der Status dieses Projekts PressureTrack wird im Folgenden vorgestellt.
2 Material und Methode
2.1 Aufbau der PressureTrack-Socke
Die PressureTrack-Socke (Abbildung 1) wird aus einer nachhaltig hergestellten Lyocell-Garnmischung (SMOOLS) im Flachstrickverfahren gefertigt, die für Diabetiker besonders wichtige Eigenschaften wie Thermoregulation und antibakterielle Wirkung hat. Zur kontinuierlichen Druckmessung werden dielektrische Elastomer-Sensoren verwendet. Die Sensoren bestehen aus dehnbaren Elastomer-Folien aus hautverträglichem Silikon mit abwechselnd isolierenden und leitfähigen Einzelschichten [8]. Bei Druckbelastung erhöht sich die elektrische Kapazität dieser weichen Sensoren. Die Kapazität eines Plattenkondensators hängt von dessen Fläche und dem Abstand zwischen den beiden Platten ab. Durch eine Krafteinwirkung auf den Sensor ändern sich beide Parameter und damit auch der Kapazitätswert. Diese Kapazitätswerte werden anschließend in einen äquivalenten Spannungswert umgewandelt, um die Druckänderungen quantifizierbar zu machen. Die aktuell 16 großflächigen Sensoren sind mit dem Textil elastisch verklebt und über den gesamten Fußbereich verteilt. Die Kabelführung erfolgt innerhalb gestrickter Kabelschächte und erlaubt eine hohe Elastizität beim An- oder Ausziehen der PressureTrack-Socke.
Die von der PressureTrack-Socke generierten Daten werden nach der Verarbeitung in einem Mikrocontroller über eine drahtlose Verbindung zur Visualisierung an eine App gesendet (Abbildung 2). In der App werden die erhöhten Druckwerte bestimmten Zonen am Fuß graphisch zugeordnet.
2.2 Versuchsaufbau
Zunächst wird das statische Verhalten des dielektrischen Elastomer-Sensors untersucht. Bei diesem Versuch wird der zwischen zwei Stoffschichten platzierte Sensor mit einer Fläche von 25 x 60 mm² in einem Prüfstand mit einer inkrementell auf bis zu 70 N erhöhten Kraft belastet. Nach Erreichen der vordefinierten Maximalkraft wird der Sensor wieder inkrementell entlastet. Zur Präzisionsbestimmung wird dieser Versuch dreimal wiederholt. Während der Krafteinwirkung wird die Kapazität des Sensors gemessen, um die Abhängigkeit der Kapazität von den durch geführten Druckänderungen zu quantifizieren.
3 Ergebnisse
Die Kapazitätsänderung bei einer Druckänderung von 1 N/cm2 liegt bei 5 pF (Abbildung 3). Der Abstand zwischen der Be- und Entlastungskurve (Hysterese) liegt im mittleren Druckbereich bei 5 pF pro N/cm². Die Grundkapazität beträgt ohne Belastung 65 pF.
4 Diskussion und Ausblick
Das Ausmaß der Hysterese wird vom elastischen Verhalten des umgebenden Textils beeinflusst und hat Auswirkungen auf die Interpretierbarkeit der Messergebnisse. Tests mit verschiedenen Materialien wie zum Beispiel Silikon als Zwischenschicht sind im weiteren Projektverlauf notwendig, um die idealen Materialkombinationen zur Herstellung des Strumpfes zu eruieren. Um das Sensorverhalten bei dynamischen Druckänderungen zu bestimmen, wird der fertige Prototyp bei verschiedenen Aktivitäten des täglichen Lebens (Gehen und Laufen) getestet. Das Sensorverhalten sollte auch für höhere Drücke quantifiziert werden, da der Druck bei Patienten mit diabetischen Fußgeschwüren bis zu 100 N/cm² betragen kann [9-12].
In einem weiteren Schritt wird die Testung der PressureTrack-Socke an gesunden Freiwilligen erfolgen. Dadurch sollen die möglichen Wechselwirkungen mit dem menschlichen Körper wie z. B. Biokompatibilität und Trageverhalten sowie die Usability des Systems untersucht werden. Die kontinuierliche Druckmessung könnte die Behandlung von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom zukünftig deutlich voranbringen, da die Drücke im Bereich der Füße kontinuierlich bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens aufgezeichnet werden. Die dadurch erreichbare Prävention von Fußulzera würde die Lebensqualität erheblich verbessern. Um dieses Ziel finanzierbar zu machen, wird bei der Entwicklung gezielt auf eine Reduktion der Herstellungskosten der PressureTrack-Socke geachtet, um jedem Patienten mit diabetischem Fußsyndrom den Zugang zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.
Literatur
[1] Kellerer,M. et al. Deutscher Gesundheitsbericht: Diabetes 2021. Mainz: Verlag Kirchheim+ Co GmbH, 2020.
Bakker, K.et al. Practical guidelines on the management and prevention of the diabetic foot 2011. Diabetes/metabolism research and reviews 2012; 28 Suppl 1: 225 - 231.
Mittlmeier, T. et al. Charcot-Fuß. Eine Standortbestimmung und Perspektiven. Der Unfallchirurg 2008; 111 (4): 218 - 231.
[4] Poll, L. CHARCOT-FUSS: Auf die frühe Diagnose kommt es an. Deutsches Ärzteblatt 2010; 107 (7): 272 - 274.
[5] Mayfield, J. et al. Preventive foot care in diabetes. Diabetes Care 2004; 27 Suppl 1: S63-4.
[6] Apelgvist,J.Der diabetische Fuß. In: Debus ES, Gross-Fengels W (Hrsg.). Operative und interventionelle Gefäßmedizin. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2012, 5.913 - 926.
[7] Fritsch, C. et al. Diagnostik und Therapie des diabetischen Fußsyndroms: Was leistet die Pedographie? MWM - Fortschritte der Medizin 2004; 146 (26): 51 - 54.
Brunner, B. et al. Textilmaterial mit eingearbeiteten Elastomer-Sensoren: Patentschrift.
Chatwin,K. et al. The role of foot pressure measurement in the prediction and prevention of diabetic foot ulceration-A comprehensive review. Diabetes/metabolism researchand reviews 2020; 36 (4): e3258.
Fernando, M. et al. Plantar pressures are higher in cases with diabetic foot ulcers compared to controls despite a longer stance phase duration. BMC Endocrine Disorders 2016; 16 (1): 51.
Lavery,L. et al. Practical criteria for screening patients at high risk for diabetic foot ulceration. Archives of internal medicine 1998; 158 (2): 157-162.
Waaijman,R.et al. Risk factors for plantar foot ulcer recurrence in neuropathic diabetic patients. Diabetes Care 2014; 37 (6): 1697 - 1705.
Anschrift für die Verfasser:
Irina Leher, Institut für Medizintechnik (IfMZ), Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden, Weidener Technologie-Campus (WTC), Campusallee 1, 92637 Weiden
Kontakt:
Fraunhofer-Institut für Silicatforschung
Dr. Bernhard Brunner # Neunerplatz 2 # 97082 Würzburg
Bernhard.brunner@isc.fraunhofer.de # Phone: + +49 931 4100 416